Filmtagebuch einer 13-Jährigen # 2
Von Silvia Szymanski // 3. Januar 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Independent, Italien, Komödie, Mexiko, Porno, Queer, Sexploitation // 1 Kommentar
Kino-Climates, Köln, Filmclub 813, 27.-29.12 2011
Off Off Kinoprogrammmacher in Deutschland trafen sich zur Jahreswende und präsentierten im Filmclub 813 in Köln ihre liebsten und/oder seltensten Filme. Die Hard Sensations Kollegen Marco Siedelmann, Alex Klotz und ich waren dabei. Wobei wir mit unserer kleinen Montagabendreihe Alternative Movies im Aachener Apollokino ja noch Babys sind. Die Großen hier machen das seit Jahren, und viel intensiver, sammeln rare, alte Filme, alles.
Strahlender Höhepunkt dieser drei Tage war der vom Kinoptikum in Landshut warmherzig präsentierte mexikanische „Edelkitsch“-Film VERBOTENE STRASSE, an dem sich Lars von Trier für „Dancer in the Dark“ ein Beispiel genommen hat. Ich erklärte dem hinreißenden Film, angesteckt von der Impulsivität seiner Gestalten, meine Liebe und fand, er sei einer der schönsten Filme, die ich je gesehen habe. In jedem Moment intensiv geladen mit melodramatischer Emotion in Gestalt vor gerechtem Zorn bebender, wild tanzender, leidenschaftlich fühlender, kinderlieber und egoistisch-herrschsüchtige Männer heftig zur Sau machender Barfrauen. Im Mexiko City der 50er Jahre, eisenbahnrußig, lokomotivendampfig, dämmrig, atmosphärisch dicht und schwer vor Dunst und Duft und Herzensangelegenheiten. Ein Juwel. So sollte man leben, sich empören, Arschlöcher verhauen.
„SCHWARZER MARKT DER LIEBE“ von Ernst Hofbauer, der besonders durch seine Schulmädchenreport-Folgen bekannt ist, ging von dort um einige Kältegrade zurück – nach Deutschland eben, dem interessant verklemmten zu Mitte der 60er Jahre. Dem wortkargen, langsamen, perlgrauen, autoritären Herrscherland mit den vielen teuren Autos und sehr hartherzigen und brutal nüchternen Männern, die grimmig und monoton allerlei Geschäfte und Gewalttaten durchziehen. Als bei der Mädchenhändlerparty in der Reichenvilla aber endlich Drogen ins Spiel kommen, blüht der Film schön auf. Am Ende liegt ein Mädchen hell und strahlend tot da wie einst Kristina Söderbaum und aus den gleichen Gründen – verlorene Unschuld, gefallene Tugend. Allerdings auf Bahngleisen inzwischen und nicht mehr im Wasser; Deutschland strömt längst nur noch begradigt bzw. unterirdisch. Das Mädchen hat sich nicht verziehen, im unfreiwilligen Rausch durch afrikanische Importzigaretten, mit einer perfiden, adligen Lebefrau-Lesbe (toll herb-verrucht: Tilly Lauenstein) geschlafen zu haben. Der vom Komm-Kino Nürnberg präsentierte Film erfreute außerdem mit ausgesuchten Mädchen in altertümlicher Unterwäsche, nach alter Kunst spitz ins Bild ragenden Brüsten, schön ausformulierten, sorgsam artikulierten, sanft satirischen Dialogen, einer eng auf den Filmleib geschneiderten Musik (Frank Valdor) und nostalgisch-warenfetischistischen Flashs wie den Produktregalen alter Apotheken. Dieser dritte und letzte Tag gefiel mir am besten.
Der erste Tag hatte uns Kurzfilme der Münchner und Kölner Schule gezeigt. May Spils’ (mit Werner Enke) humorvoll-selbstironische Selbstinszenierungen DAS PORTRÄT und MANÖVER waren charmant unkonventionell, poppig stylish und erinnerten mich an das, was Miss Revolution heute so macht. Allerdings mag ich das überstrapazierte Thema „Paarbeziehung im Alltag“ nicht mehr, weder in Pornos noch in Komödien.
Marran Gosovs POWER SLIDE war der eindeutig schönste Kurzfilm. (Ich würde gern eine längere Besprechung davon machen, wenn ich den Film noch einmal sehen könnte.) Er erinnerte mich an „Stranger than paradise“, weil auch hier der Jungenwelt verhaftete Jungs in graphisch konzentrierten Bildern ungeschickt und irritierend frostig um ein Mädchen buhlen (die damals sehr süße Jopie-Witwe Simone Rethel). Bald geben sie es aus Hilflosigkeit und wegen zu anstrengend auf und kehren zu ihrer ureigenen, fachmännischen Obsession, nämlich Carrera-Autorennen, zurück. Das Mädchen lassen sie am Rande der Tischrennstrecke innerlich dahinsterben. Es flirtet in aufkeimender Hoffnung mit einem dazugekommenen Dritten, der aber dann genau so drauf ist wie die anderen. So guckt sie zu, vergessen, ausgeschlossen. Ein lieber, klarsichtiger Mann, der Marran Gosov, der diese Studie so feinfühlig und genau zauberte, ich war dankbar.
Denn ich kenne das. Manchmal fühle ich mich sogar noch heute so. Ich meine ganz genau heute, hier im Kinosaal 813 unter der Brücke in Köln, unter all den Kinojungen und ihren erregten Gesprächen über schützenswerte, aussterbende Filmmaterialien und –formate, Restaurationstechniken, die verdammten Bedingungen des für eine Handvoll Innovationen über Leichen gehenden Turbokapitalismus. Recht recht recht, sie haben recht recht recht. Aber sie kommen so nicht weiter. Das Leben ist zu kurz. Und auch meines läuft hier rettungslos ab, oder habe ich es inzwischen aufgegeben, es noch „meins“ zu nennen? Ich dachte immer, Leben sei auf dem Tisch tanzen wie in Mexiko City. Oder eine „afrikanische“ Zigarette rauchen auf dem „Schwarzen Markt der Liebe“, wo Mädchen schon von zwei Marihuanazigaretten dazu gebracht wurden, sich zu Soulmusik (Valdors stilecht abgekupfertem „Shotguns“) oder dem Trommeln eines selber total bekifften Bongospielers auszuziehen. (Wofür sie dann allerdings ausgerechnet von ihren Anstiftern verachtet werden). Aber wir haben die 2010er Jahre, und wir sind nicht lebendig. Wir haben uns etwas nehmen lassen und kriegen es nicht mehr zurück. Ich übertreibe maßlos und müsste dringend zur Toilette, eine Runde weinen. Oder schreien. Stattdessen schone ich die Oberfläche.
„Die Angst der Jungen zerstört das Leben der Mädchen“, kommt mir auf der Toilette im Keller in den Sinn. Ein psychologisch und auch sonst ganz falscher Satz, der irgendwie mit POWER SLIDE und meiner Vergangenheit zu tun hat, als ich bei Amateurfußballerfeiern mit dabei saß. Er war schon damals ungerecht, und passt heute Abend erst recht nicht. Wieso Angst, und wo wird denn hier bitte mein Leben zerstört? Ich interessiere mich doch für Filme, manche liebe ich sogar, und ich liebe es besonders, über sie zu schreiben. Ich krieg zwar kein Scheiß-Geld für irgendetwas, das zu tun ich liebe. Aber gib jetzt Ruhe, Doofkopp, und geh weiter Filme gucken.
Es kommt vor allem noch eine sehr feine, unheimlich sorgfältig gespielte kleine Verlierersatire über das verhasste Arbeitsleben: WAS TUN, von den Kölnern Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler – etwas, das ich auch gern noch mal sehen würde.
Am Ende verschlägt es mich mit einem Bekannten, Bruno, in die coole Absack- und Schlagerwirtschaft „Zum Rappen/Bei Rita“, um auf den ersten Zug nach Aachen zu warten. Unsere Kinofreunde sind erstaunlich früh schlafen gegangen. Das kennt man von Schriftstellern und Musikern anders. Ich stelle mir vor, ich wäre Irmgard Keun, die Kölner Schriftstellerin, die ich als Mädchen gern hatte, und trinke ihr zu Ehren Kölsch und Weinbrand. Bruno (entsprechend in der Rolle eines Joseph Roth) und ich führen vertrauensselige Gespräche. Lallend kann ich mich mit dem Wirt verständigen, dass wir ein Taxi zum Hbf wollen, wie durch ein Wunder klappt es.
Der zweite Filmtag ist für mich kein richtig schöner. Ich mag Italien, aber nicht Lina Wertmüllers mir zu gängige und vor allem zu mainstreamige Stereotypen darüber (gewollt-„temperamentvoll“ am Esstisch durcheinander plappernde Prostituierte, lustig im Puff sterbende Opas, vier extra-originell gemischte Typen z. T. mit Ledersturmhaube auf Motorrad und Sozius, über den Haufen fliegende Gemüsemarktstände). Aber immerhin trägt durch die tragikomödiantischen Standards ein wie ein verdutzter Kater ergreifend unschuldig blickender Giancarlo Giannini konsequent sein ernstes, trauriges Gesicht. Und dazu einen grob gestrickten, wollweißen Sweater. Überhaupt schöne Kleider, höre ich auf der Toilette zwei der wenigen am Treffen teilnehmenden Frauen den Film loben. Und gute Architekturschauplätze, von römisch-antik bis faschistisch: LIEBE UND ANARCHIE.
KAMELIENDAME 2000 ist ein edler Sexfilm von Radley Metzger. Die Menschen und das Ambiente sehen aus wie aus den exklusiven Reklamen der 70er Jahre, die das mondäne Jetsetleben feierten und in heutigen Raffaelo-Reklamen noch ein bisschen weiter zu leben versuchen. Viel durch ausgesuchte, flippige Kleider scheinende oder auch kleiderlose Nacktheit. Äußerst gut gestylt, elegant und leicht, dazu mit einer an der Garbo geschulten Traurigkeit. Aber ich kann das nicht zu Ende gucken, ich muss los, weil ich diesmal den letzten späten statt den ersten frühen Zug erwischen will. Da hinten schaut ein Junge, den ich zu sehr mag, den Film zu Ende an.
Zu Hause schalte ich mir wieder DRIVE von Jack Deveau ein. Ich gehe zurück in dieses, tiefe orgiastische Treiben in dem dunklen Club, mit der Fistingszene, die die Leute, die ich kenne, erschreckt, und schließe mich den Männern dort an. Dem hübschen, vom sexuellen Geschehen total ergriffenen, blondbärtigen Hippiejungen und seinem dunkelhaarigen, ebenso hingerissenen Freund. Sie sehen wild und heiß und aufregend aus, wenn sie miteinander schlafen.
Es gibt eine Art von Orgasmus aus einem ganz tiefen Inneren im Körper. Er ist schwer zu erreichen. In den mir bekannten Pornos sieht man ihn so gut wie nie. Es dauert lange, bäumt sich wahnsinnig auf und macht ungeheuer traurig. Es kommen Tränen von dort, Schluchzen und stummes Schreien und immer mehr Tränen. Einem Sexualpartner kann man die dorthin führende seltsame Minenarbeit am weiblichen Körper nicht zumuten, fürchte ich immer. Ich habe es früher manchmal versucht, aber Schreck und Entsetzen damit ausgelöst. Es gibt andere Orgasmen, die leichter sind. Dies aber ist die schreckliche Wahrheit, und ich will sie gar nicht immer wissen.
Verbotene Straße (Victimas del Pecado), Mexiko 1951, Regie: Emilio „El Indio“ Fernandez
Schwarzer Markt der Liebe, BRD 1966, Regie: Ernst Hofbauer
Das Porträt, BRD 1966, Regie: May Spils
Manöver, BRD 1966, Regie: May Spils
Power Slide, BRD 1966, Regie: Marran Gosov,
Was tun, BRD 1998, Regie: Markus Mischkowski + Kai Maria Steinkühler
Liebe und Anarchie, Italien 1973, Regie: Lina Wertmüller
Kameliendame 2000, USA 1969, Regie: Radley Metzger
Ein Kommentar zu "Filmtagebuch einer 13-Jährigen # 2"
Lieben Dank, Frau Szy, dass Du mich nachträglich und im Geiste noch mitgenommen hast auf die Reise nach Köln, zu der ich – anders als Bruno – körperlich und seelisch nicht mehr in der Lage war nach einem Tag Sand und Zement schleppen. Ich glaube, das einzige, was ich an dem Ausflug hätte verpassen können, wäre ohnehin Dein Text gewesen.
Lieben Gruß
Frau Suk